Spaziergang durch die Fankultur


 

 

Aus den Seminaren „Fußball-Fankultur in der Offenen Gesellschaft“, die wir seit 2014 veranstalten, ist über die Jahre unser Projekt Fankurve Ost entstanden. Von Anfang war uns daran gelegen, die engagierte Fankultur als Beispiel für eine funktionierende Zivilgesellschaft erlebbar zu machen. Und zwar eben nicht in Form von reinen Vorträgen und Frontalschulungen, sondern indem wir Fans, Vereinsmitarbeiter und Journalisten aus Belarus, aus der Ukraine und aus Russland mit allen möglichen Akteuren zusammen bringen, die sich im „Fußballraum“ engagieren, Regeln aufstellen, ihn kontrollieren, ihn für soziale Projekte, zivilgesellschaftliche Initiativen oder zur Verteidigung von Grundrechten nutzen. Vom 1. bis 8. Oktober 2019 fand ein solches Seminar in Berlin statt. Zu Gast waren 17 Journalisten, Fans und Vereinsmitarbeiter aus Belarus, aus der Ukraine und aus Russland, die die engagierte Fankultur in der deutschen Hauptstadt erkundeten. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern befanden sich beispielsweise Mitarbeiter des Regionalen Fußballverbandes von Zhitomir (Ukraine), vom belarussischen Verein Dinamo Minsk oder vom russischen Premier Liga-Klub FK Sotschi.

 

Nach einem traditionellen Kennenlern-Abend, der in der Gaststätte Thomas-Eck in Berlin-Charlottenburg stattfand, begann das Seminar am nächsten Tag mit einem Vortrag von Thomas Jelinski, der bei unserem langjährigen Kooperationspartner, dem Fanprojekt der Sportjugend Berlin, angestellt ist. Jelinski ist Sozialarbeiter und erklärte in seiner Ausführung die historische Entwicklung der sozial-pädagogischen Fanprojekte, die sich seit den 1980ern zu einer bedeutsamen Säule in der Arbeit mit jungen Fußballfans entwickelt haben. Mittlerweile gibt es bundesweit über 60 dieser Fanprojekte, die teils durch die DFL bzw. den DFB, teils von den Kommunen finanziert werden. Eine Struktur, die weltweit ihresgleichen sucht und deswegen immer wieder auf großes Interesse bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern stößt. Danach ging es nach Köpenick, zum Stadion an der Alten Försterei, wo der 1. FC Union Berlin sein Zuhause hat. Christian Arbeit, Stadionsprecher und Geschäftsführer Kommunikation, berichtete von seiner Arbeit mit Journalisten und Medien. Bei einer anschließenden Stadiontour erfuhren die Gäste einiges über die Geschichte des frisch gebackenen Bundesligisten, über die lebendige Fanszene oder über den Stadionausbau, an dem im Jahr 2008/09 mehr als 2300 freiwillige Helfer beteiligt waren. Beim anschließenden Treffen in der Fankneipe Abseitsfalle mit Bea von der Eisernen Hilfe erfuhr die Gruppe, wie Fans in Deutschland juristischen Hilfen für Fans als eine Solidargemeinschaft organisieren, um Leuten zu helfen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Zudem berichtete Thomas Matscheroth als Vorsitzender der Fan- und Mitgliederabteilung (FuMA) beim 1. FC Union Berlin über das enge Verhältnis von Fans und Vereinsmitgliedern zu ihrem Verein, den sie in verschiedenen Arbeitsgruppen unterstützen. In den nächsten Tagen wurde der Einblick in die hiesige Fankultur schließlich vertieft und erweitert, wozu auch der Vortrag von Gerd Liesegang beitrug. Der Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) referierte über die beeindruckende Antidiskrimierungsarbeit des Verbandes im Berliner Amateurfußball, der von fast 400 Vereinen getragen wird. Peter Dittmann zeigte anhand der Arbeit des Berliner Vereins Gesellschaftsspiele, wie der Fußballraum genutzt wird, um wichtige gesellschaftspolitische Themen wie Rassismus oder Flüchtlingsarbeit zu transportieren. Und Franziska Hoffmann, Aufsichtsratvorsitzende von Tennis Borussia Berlin, erklärte die demokratische und ehrenamtliche Arbeit in einem Fußballverein anhand des aktuellen Oberligisten, dessen Spiel gegen Ludwigsfelde wir im Anschluss im Mommsen-Stadion besuchten und dabei ein torreiches 9:0 erlebten. Ein weiteres Fußballspiel erlebten unsere osteuropäischen Gäste schließlich beim SV Babelsberg 03 gegen Rot-Weiß Erfurt in Potsdam, wo uns Mia über die Geschichte des Vereins und die gesellschaftspolitisch aktive Fanszene näher brachte. Höhepunkt war schließlich die Fahrt nach Wolfsburg, wo wir auf Einladung des dortigen Fanprojektes die sozial-pädagogische Arbeit mit den Fans des VfL kennen lernten und uns über das Engagement der Supporters Wolfsburg informierten. In der VW-Arena sahen wir dann ein intensives Kampfspiel, das der VfL Wolfsburg mit 1:0 gegen den 1. FC Union Berlin für sich entscheiden konnte. Am letzten Tag stand der Besuch der Fanbeauftragten Stefano Bazzano und Andreas Blaszyk von Hertha BSC in der Geschäftsstelle des Charlottenburger Vereins auf dem Programm. Und Christian Rudolph illustrierte die Arbeit des Initiative Fußballfans gegen Homophobie, wobei sich eine lebhafte Gesprächs- und Diskussionsrunde um das Thema Diskriminierung im Fußball entwickelte. In der anschließenden Feedback- und Diskussionsrunde teilten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander ihre Eindrücke, die sie in der Woche gesammelt haben. Dabei wurde einmal mehr betont, wie intensiv auch die Gespräche innerhalb der Gruppe über gesellschaftspolitischen Themen aus ihren jeweiligen Ländern gewesen seien. Vladimir Doroshenko, Vizepräsident des Regionalen Fußballverbandes von Zhitomir, gab an, dass er einen Haufen neuer Ideen für seine tägliche Arbeit erhalten habe, die er mit seinen Kollegen in der Ukraine diskutieren wolle. Dmytro Tymokhin, der jeden einzelnen Tag des Seminars in langen Beiträgen auf seiner Facebook-Seite beschrieben hat, sagte: „Wir können sicher nicht alles umsetzen, was wir hier gehört haben. Denn dafür sind die Probleme unserer Länder zu verschieden. Aber ich habe gelernt, dass wir erst auf dem Pfad der Demokratie sein werden, wenn die Menschen bei uns lernen, sich noch viel stärker zu engagieren und die Gesellschaft von unten zu verändern.“ Das Seminar endete schließlich mit unserem traditionellen Grillabend, bei dem BBQ-Meister Peter wie immer für das leibliche Wohl sorgte und bei dem sich viele Freunde aus dem Berliner Fußballraum dazu gesellten. 

 

Wie immer bedanken wir uns bei allen, die sich in dieser Woche mit uns getroffen haben, die ihre Zeit und ihr Wissen so bereitwillig mit uns geteilt haben. Um es mit Hans Rosenthal zu sagen: Ihr seid spitze!